Es ist sehr interessant, nach vielen Jahren – und mit sehr viel mehr Wissen und Lebenserfahrung - auf sein Leben zurückzublicken. Ich erkenne immer mehr, wie oft doch das ‚Schicksal’ (oder wie auch immer man es nennen möchte) dennoch, trotz allem, eigentlich dafür hätte sorgen wollen, mich auf einen glücklichen Weg zu bringen. Auf einen Weg, der mir und meinen Begabungen, auch meinen Wünschen und Sehnsüchten, eher entsprochen hätte.

Immer wieder wurde das kleine bisschen Glück in meinem Leben, das ich mir – trotz allem doch immer und immer wieder – aufgebaut habe, zerstört. Oder muss ich sagen: Ich habe es mir zerstören lassen? Oft von Frauen. Manchmal aber auch durch eigene, unglückliche Entscheidungen. Unglückliche Entscheidungen aus Unwissenheit, Naivität und Gutgläubigkeit, aber manchmal auch aus Unsicherheit oder Angst. „Angst ist ein schlechter Ratgeber“, heißt es nicht umsonst …

[Siehe dazu auch: Blogbuchsplitter-2021-Katatonie („Angst-Stress-Trauma-Mechanismus“); Was uns nicht hilft, Was uns hilft; Zum Nachdenken – Theory of Mind]

Und wer sich nicht am - leider allgemein und zunehmend - üblichen ‚Hauen und Stechen‘* beteiligen möchte, dem bleibt letztlich, um sich seine Würde und auch die Würde anderer bewahren zu können, nur der ‚soziale Rückzug‘.

[* Was fehlt? „… wahre Bildung, Herzensbildung, wenn man so will, … die schlichte ‚Offenheit für das Wahre und Wesentliche.‘“ Axel Hacke – Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen; Kunstmann; S.179]

Kindheit und Umzüge

Wir sind insgesamt zweimal umgezogen. Während meiner Kindheit, also bis zur 1. Schulklasse, wohnten wir neben meinen Großeltern mütterlicherseits. Viele Erinnerungen an diese Zeit habe ich nicht.

Nur so eine vage Erinnerung, dass ich viel allein war, mich auch immer etwas als Außenseiter oder als ‚Alien‘ gefühlt habe.

Nach unserem 1. Umzug habe ich die Wochenenden meist bei meiner Oma väterlicherseits verbracht. Bei ihr und ihrem zweiten Sohn, meinem Onkel.

Sie war eine starke Frau, oder vielmehr: Sie musste stark sein.

Ihr erster Mann (der Vater meines Vaters) hatte Alkoholprobleme und ist auch früh verstorben. Sie hat dann wieder geheiratet und zwei weitere Kinder bekommen. Aber diese Ehe war wohl (auch?) nicht besonders gut, und so hat sich meine Oma scheiden lassen – zur damaligen Zeit etwas sehr Mutiges.

Leider kam es später zum Bruch innerhalb der Familie, und unsere Wege haben sich getrennt. - Mein Leben wäre vielleicht ganz anders verlaufen, wenn ich sie auch weiterhin gehabt hätte, und nicht ein sogenanntes ‚Schlüsselkind’ geworden wäre … 

Meine Schieloperationen

Diese Zeit ist auch überschattet von sehr einschneidenden Erlebnissen, vor allem von meinen beiden Schieloperationen, aber auch davon, dass ich – gestolpert und unglücklich gefallen – mir meine beiden oberen Schneidezähne ‚ausgeschlagen‘ habe, was sehr, sehr schmerzhaft gewesen sein muss.

Jedenfalls war ich eine Frühgeburt und habe geschielt auf beiden Augen (wie man mir erzählt hat), und musste operiert werden. Verschiedentlich habe ich ja schon davon erzählt, wie traumatisierend die Klinikaufenthalte und insbesondere das Aufwachen nach einer der Operationen war, und wie damals mit Kindern umgegangen wurde: Böses, böses Mädchen – man schreibt doch mit der schönen Hand …

[Siehe dazu auch: Blogbuchgedanken – Frühgeborene; CVI-Begriffe und 'Risse im Universum']

Was ich noch nicht erzählt habe: Bei der Einschulungsuntersuchung hat man also meine Eltern darauf hingewiesen, dass ich erst operiert werden muss, bevor ich eingeschult werden kann. - So wie es bei Sabine Kiefner* hieß: „Sehen Sie denn nicht, dass Ihr Kind einen Wasserkopf hat?“, so stelle ich es mir auch bei meiner Einschulungsuntersuchung inzwischen vor, dass also gesagt wurde: „Sehen Sie denn nicht, dass Ihr Kind schielt?“ - Jedenfalls wurde ich ein Jahr zurückgestellt, und mein Vater hat alles darangesetzt, für mich schnellstmöglich einen OP-Termin zu bekommen. Was ihm schließlich auch gelang, aber nur dadurch, dass man mich zur Privat-Patientin gemacht hat, und was für meinen Vater bedeutete, dass er zunächst die OP- und weitere Kosten selbst hat bezahlen müssen, und diese erst später von der Krankenkasse erstattet wurden.

[* In memoriam: Sabine Kiefner – Freude ist wie ein großer Hüpfball in meinem Bauch; bloggingbooks]

Also war ich Privat-Patientin. Was bedeutete: Ich hatte in der Klinik ein Zimmer für mich allein und im Speisesaal einen Tisch für mich allein, und ich bekam ‚besseres’ Essen. - Die anderen Kinder schliefen zu mehreren in ihren Stockbetten, saßen um einen großen Tisch beim Essen und hatten Spaß zusammen.

Und ich gehörte nicht dazu – etwas, was sich wie ein ‚Roter Faden‘ durch mein Leben zieht.

Einmal habe ich auch bei ihren ‚Späßen‘ mitgemacht. Die Kinder hatten gerade damit begonnen, jeweils den Stuhl wegzuziehen, wenn ein Kind aufgestanden war, und bevor es sich wieder hinsetzen wollte - und somit auf dem Boden landete. Bei allen anderen war es ein Spaß, nur, als ich es auch tat, sah es eine Krankenschwester, und ich wurde ausgeschimpft und bekam ein paar Klapse auf die Hände.

So, wie ich auch Klapse auf die Hände bekam, als ich dabei beobachtet wurde, wie ich mit der linken Hand Kringel malte.

Böses, böses Mädchen – man schreibt doch mit der schönen Hand …

Zweimal war ich in der Augenklinik, und habe ja auch schon erzählt, wie es mir nach einer der Operationen (erste oder zweite?) ergangen ist: Nicht zu wissen, wo man ist, im Bett festgeschnallt, mit Eisenschienen über den Ellenbogen und verbundenen Augen …

Ob ich um Hilfe gerufen habe? Ich weiß es nicht. Und wie lange ich in diesem Zustand war, weiß ich auch nicht.

Aber ich denke, dass man nach einem solchen Erlebnis nicht mehr der-/dieselbe ist wie vorher …

Schockerlebnisse. Die sich tief eingraben. Und verdrängt werden. Verdrängt werden müssen, weil …, ja, weil es weit über das hinausgeht, was ein Kind verarbeiten kann … verstehen kann …

Meine Mutter hat mir später erzählt, dass es bei einem meiner Aufenthalte (dem zweiten?) zu einer Infektion gekommen sei, dass ein Virus* aufgetreten sei in der Klinik bzw. auf unserer Station, und ich deshalb hätte sehr viel länger in der Klinik bleiben müssen als ursprünglich vorgesehen.

[* Siehe dazu auch: CVI-Begriffe und 'Risse im Universum']

Ich weiß es noch. Und ich sehe auch das Zimmer. Und mich selbst im Schlafanzug. Und ich kann mich daran erinnern, dass ich hohes Fieber hatte und ganz großen Durst. Und ich weiß auch noch, dass es nahezu unmöglich war, etwas zu trinken zu bekommen – es hieß lange Zeit: Deine Eltern müssen kommen und Dir etwas zum Trinken kaufen … - bis sich schließlich eine Schwester ‚erbarmt‘ und mir eine Flasche Sprudel gekauft hat …

Ich weiß auch noch, dass die Schwestern Mütter einfach nach Hause schickten, auch wenn die Mütter versprochen hatten, dass sie draußen warten, bis man das obligatorische Bad (am Tag der Einweisung) hinter sich gebracht hat. - Wenn eine Mutter verspricht, da zu sein, und sie es dann nicht ist, weil man sie weggeschickt hat …

Und dabei hatte ich sie doch – voller Angst – angefleht, mich wieder mit nach Hause zu nehmen, mich nicht dort alleine zu lassen …

Schockerlebnisse. 

Das Augentraining in der Klinik, jeweils nach den Operationen, war schlimm – ich fühlte mich so schrecklich unfähig und dumm. Eine der Aufgaben bestand darin, mittels einer speziellen Apparatur einen Soldaten in sein Wachhäuschen zu verschieben. Ich konnte es nicht, und wenn ich meine Augen noch so sehr angestrengt habe.

Das Einfachste von der ganzen Welt (so hatte ich den Eindruck), und ich kann es nicht!

Am Ende habe ich dann immer ‚geschummelt’ und gesagt, dass der Soldat jetzt in seinem Wachhäuschen stehen würde …

Dieses Gefühl der Unzulänglichkeit bin ich bis heute nie wieder losgeworden. Es ist tief eingegraben.

Nach meinen Operationen hätte ich auch noch ein ‚Augentraining‘ absolvieren müssen mittels abgeklebter Brille, aber ich habe mich geweigert - vielleicht war es zu anstrengend für mich, mit nur einem Auge zu sehen, und vielleicht wurde mir auch schwindlig dabei ... 

Vor meinen Schieloperationen wurde ich auch oft ausgeschimpft, weil ich Buchseiten zerrissen habe … Ich weiß noch, dass ich sehr gerne im ‚Großen Wilhelm-Busch-Buch‘ geblättert habe. Aber ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, ABSICHTLICH diese Buchseiten zerrissen zu haben … und frage mich stattdessen – mit meinem heutigen Wissen im Hintergrund -, ob dieses ‚Zerreissen‘ nicht vielleicht im Rahmen kurzer epileptischer Anfälle geschehen sein könnte …? Was ja auch gut erklären würde, dass ich mich im Nachhinein nicht habe erinnern können …

[Siehe dazu auch: Diskussionsseite – Epileptoide Krankheiten (Meine Absencen), Migrälepsie (Meine Migräne), Zuschreibungen]

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