"Aber meine Reflexe reagierten nicht. Ich lief nicht davon, ich warf mich nicht zur Seite.

Die Panik befand sich nur im Innern. Hilfe! ... Wo bin ich? Wo ist mein Körper?"

Gunilla Gerland - 'Ein richtiger Mensch sein. Autismus - das Leben von der anderen Seite'

 

 

Das Innenohr und die Gleichgewichtsfunktion ...

 

Unser Innenohr enthält die Sinnesrezeptoren für das Gehör und den Gleichgewichtssinn.

Es liegt im sog. 'knöchernen Labyrinth' und enthält als Sinnesrezeptoren für das Gleichgewichtsorgan den 'Vorhof' und die 'Bogengänge' und für das Gehör die sog. 'Schnecke'.

 

Unser Gleichgewichtsorgan registriert unsere jeweilige Körperlage und unsere jeweiligen Körperbewegungen im Raum und hilft uns - zusammen mit anderen Sinnesorganen, z. B. Augen und Tiefensensibilität - bei der Orientierung im Raum. Und es hilft unserem Kopf und unserem Körper bei der 'Aufrechterhaltung' - in Ruhe und/oder in Bewegung.

 

Die Informationen aus beiden Organen, also dem Gehör- und Gleichgewichtsorgan, werden über den Nervus vistibulocochlearis, den VIII. Hirnnerv - 'Gleichgewichtsnerv' und 'Hörnerv' - an unser Gehirn übermittelt.

Dieser Nerv verläuft zusammen mit den 'ohrversorgenden' Blutgefäßen jeweils vom Innenohr durch den 'inneren Gehörgang' in das Schädelinnere ...

 

Die Gleichgewichtsfunktion

= 'Maculae staticae', das Organ der Gleichgewichtsempfindung im 'häutigen Labyrinth' in 'Sacculus (Macula sacculi)' und 'Utriculus (Macula utriculi)', mit aufliegender 'Statolithenmembran' ...

 

'Utriculus und Sacclulus' - Großes und Kleines Vorhofsäckchen - enthalten in ihrer Wand jeweils ein Sinnesfeld aus Sinneszellen (Haarzellen = Sinneszellen für das Gehör) und Stützzellen. Die Härchen der Haarzellen ragen in eine gallertartige Membran hinein, die sog. 'Statolithenmembran'. Sie bedeckt das gesamte Sinnesfeld; an ihrer Oberfläche sind Kalziumkarbonatkristalle eingelagert:

 

'Statolithen' = sog. Gleichgewichtssteinchen oder Gehörsand: Sie verschieben durch ihre Trägheit bei Bewegungen die Zilien (= 'feines Haar') der Sinneszellen.

 

Im Utriculus liegt das Sinnesfeld horizontal, im Sacculus vertikal.

 

Diese 'Sinneszellen' reagieren auf Schwerkraft und Beschleunigungen, also Druck- und Zugkraft, horizontal und vertikal:

 

Die Statholithenmembran erzeugt einen Druck, der sich jeweils ändert. Die Sinneshärchen verbiegen sich und reagieren als sog. 'Mechanorezeptoren' (= Rezeptoren, die auf mechanische Reize ansprechen). Die Signale werden im Zentralen Nervensystem (ZNS = Gehirn und Rückenmark) verarbeitet: Es kommt zu 'bewusstem Empfinden' und Anspannung und Bewegung der Körpermuskulatur erfolgt 'reflektorisch', also 'reflexbedingt'.

 

Die Sinneszellen der Bogengänge reagieren auf Drehbewegungen. Hieran sind beteiligt:

Endolymphe (= Flüssigkeit im häutigen Labyrinth), Cupula (= gallertartige Schicht ... darin eingebettete Härchen ...).

Im ZNS kommt es auch hier zu einem 'bewussten Empfinden' der Drehbewegungen und zu einer 'reflektorischen' Körperanpassung.

 

Die Haarzellen des Gleichgewichtsorgans leiten die Erregungsimpulse an die Nervenzellen im inneren Gehörgang weiter. Sie reichen hinein in die Endolymphe des häutigen Schneckenganges und sind mit der sog. 'Membrana tectoria' verbunden.

 

Der Nervus vestibulocochlearis leitet die Informationen weiter an:

Rückenmark, Kleinhirn, Formatio reticularis*, Thalamus.

 

* Die 'Formatio reticularis' ist ein System markhaltiger Fasern und diffus verteilter 'Nervenknoten'; sie verläuft von der Medulla oblongata bis ins Zwischenhirn. Dieses System vermittelt lebenswichtige reflektorische Erregungen, die Steuerung sog. 'vegetativer' Funktionen (= Funktionen, die nicht dem Willen unterliegen), das Zusammenwirken von Reflexen zu Bewegungsabläufen und die Verarbeitung von Erregungen, die ins Zentrale Nervensystem - hier: in die Großhirnrinde - geleitet werden.

 

Der Thalamus (= "Tor zum Bewusstsein") ist Umschaltstation für optische und akustische Bahnen.

 

Auf diesen Wegen werden die Erregungen aus dem Gleichgewichtsapparat mit dem motorischen System verknüpft:

 

Muskelbewegungen für eine 'normale Stellung' des Kopfes, des Körpers und der Augen, entsprechend den jeweiligen Erfordernissen in Ruhe, in Bewegung und bei Lagewechsel ...

 

Jeder Bogengang in unserem Gleichgewichtsorgan ist mit Kernen im Hirnstamm - sog. 'Augenmuskelkernen' - verbunden ... 

 

 

 

Der 'vestibulookuläre Reflex'

 

Hiermit bezeichnet man Augenbewegungen, die nötig sind, damit wir auch bei Kopfbewegungen, die wir ausführen, weiterhin eine 'stabile' visuelle Wahrnehmung haben.

 

Hierzu müssen sich unsere Augen in der jeweils 'entgegengesetzten' Richtung bewegen, damit wir das 'Objekt' auch weiterhin wahrnehmen können. Und damit dies möglich ist, sind unsere Bogengänge des Gleichgewichtsorgans im Innenohr mit unseren Augenmuskelkernen verbunden.

 

Dieser Reflex muss allerdings unterdrückt werden, wenn wir selbst gerade in Bewegung sind. Aber z. B. bei Kleinhirnverletzungen* ist gerade dies nicht möglich ...

 

* 'Vestibuläres Kleinhirn' (= Archicerebellum): Es verarbeitet überwiegend Impulse der Vestibulariskerne. Verletzungen in diesem Bereich führen zu Nystagmus (s. u.), Gleichgewichtsstörungen (siehe 'Hirnnerven - Gleichgewichtsnerv') und Ataxie (siehe 'Kleinhirn').

 

Nystagmus: Hiermit bezeichnet man unwillkürliche Augenbewegungen (sog. 'Augenzittern'). Sie treten meist beidseitig auf. Normal ist ein 'Nystagmus' bei einer Änderung der Körperlage, wenn man schnelle Bildfolgen oder -abläufe betrachtet oder auch bei einem extremen Blick zur Seite.

 

Begleitsymptome eines Nystagmus können aber immer auch Hörstörungen, eine Gangunsicherheit, ein Schwindel oder Koordinationsstörungen sein.

 

Er kann bei zahlreichen neurologischen Erkrankungen auftreten: Z. B. bei Multipler Sklerose oder bei Erkrankungen des Kleinhirns oder des Hirnstamms. Weitere mögliche Ursachen: Enzephalitis, Medikamentenvergiftungen, Lähmung der Augenmuskeln, Schädigung des Gleichgewichtsorgans.

 

-> Siehe auch: Nuclei, Kleinhirn, Leitungsbahnen, Wahrnehmung usw.

 

 

 

Tractus tectospinalis

 

Diese Bahn verläuft im Vorderseitenstrang* des Rückenmarks.

 

Sie entspringt im 'Colliculus superior' (-> Sehbahn) des Mittelhirns, kreuzt an der 'Haubenkreuzung' auf die gegenüberliegende Seite, steigt ab zum Rückenmark und endet in der 'Vordersäule'* (= Columna grisea anterior medullae spinalis).

 

Sie leitet Flucht- und Abwehrreflexe, die optisch und akustisch(?) ausgelöst werden ...

 

* Die VORDERSEITENSTRANGBAHNEN im Rückenmark vermitteln Informationen über groben Druck, Schmerz und Temperatur; die Axone (= Nervenzellfortsätze) kreuzen in der 'Commissura alba' des Rückenmarks auf die Gegenseite und steigen auf zum THALAMUS.

* Die VORDERSÄULE enthält u. a. 'Motoneurone': Alpha- und Gammamotoneurone.

 

-> Siehe auch Leitungsbahnen; Substantia alba etc.; Diplomarbeiten etc.: Hörbahn

 

 

Zum Nachdenken ...

"Wenn sich jemand plötzlich über mich beugte, konnte mich das sehr erschrecken. Dann hatte ich das Gefühl, dass etwas auf mich herabfiel, unter dem ich zermalmt werden konnte.

Aber meine Reflexe reagierten nicht ..."

Gunilla Gerland

 

 

Quellen und zum Weiterlesen:

Klinisches Wörterbuch 'Pschyrembel', 'Naturheilpraxis heute' und 'Wikipedia'

 

 

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